Hinter den Kulissen

Ein Glücksfall

Wie wir ein Schmuckstück dem Schweriner Hofjuwelier Heinrich Rose zuschreiben konnten

von Lea Felicitas Döding

Versteckte Geschichten und historische Detektivarbeit

A

ls auf Schmuck spezialisierte Kunsthistoriker ähnelt unser Vorgehen oft Detektivarbeit. Häufig tragen antike Schmuckstücke keinerlei Punzierungen – und selbst wenn, so bleibt die Frage der Authentizität. Schmuckstücke können umgearbeitet worden, stark restauriert oder gar gefälscht sein. Jeglicher Schlussfolgerung muss somit ein kritischer Blick auf das Schmuckstück selbst vorangehen. Den Kunsthistoriker interessieren hier ganz andere Fragen als den Gemmologen: Wann und wo wurde ein Schmuckstück gearbeitet, wer fertigte es, wer trug es, zu welchem Zweck und zu welcher Gelegenheit?

Vor kurzem lag ein auffallend schönes Schmuckstück auf meinem Schreibtisch und wartete darauf, dass ich ihm seine Geschichte entlockte. Es war eine Anhänger-Brosche, die zwei große kolumbianische Smaragde in einem elegant geschwungenen Rahmen aus diamantbesetztem Platin trug. Die einzige vorhandene Punzierung war die Feingehaltsmarke „585“, die seit den späten 1880er Jahren auf deutschen Schmuckstücken verwendet wird. Die Erscheinung des Schmuckstückes selbst lieferte keine Einwände gegen eine Entstehung in Deutschland nach dieser Zeit.

Eine antike Anhänger-Brosche mit Smaragden und Diamanten in Platin auf Gold, um 1910.

Der erste Eindruck war der eines Schmuckstückes für festliche Abende, gefertigt während der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts. Bereits der Gebrauch hochwertiger Edelsteine in Platin weist das Stück als einen sog. Juwelenschmuck für den Abend aus. Sein Entwurf ist zudem typisch für die Belle Époque – den Zeitraum zwischen spätem 19. Jahrhundert und Ausbruch des ersten Weltkriegs. 

Die V-förmige Komposition des Stückes ist eine vage Reminiszenz an die sog. Sevigné-Anhänger des 18. Jahrhunderts, auf das man während der Belle Époque gern und oft verwies. Die Nutzung sog. Messerstege – aus Gold gehämmerte Drähte, die wie Messerklingen von oben gesehen hauchdünn sind – war seit den 1870er Jahren üblich, und blieb bis in die 1910er Jahre hinein populär. Auch unter der Lupe bestätigten schließlich die Diamantschliffe, die Millegriffes und die Nutzung von Platin auf Gold, dass es sich hier um ein authentisches Juwel der Belle Époque handelte.

Nun wollte ich den Zeitraum der Entstehung noch etwas schärfer eingrenzen. Einige Dinge sagten mir bereits, dass eine Entstehung vor 1900 unwahrscheinlich war. Zunächst waren da die Materialien: Die Nutzung runder Altschliff­diamanten sogar für die kleineren Steine sprach für eine Entstehung nach 1900, während man in den 1890er Jahren oftmals noch kissenförmige Altschliffe benutzte, insbesondere für die kleineren Besatzsteine.

Zweitens war da der deutliche Jugendstil-Einschlag des Stückes, insbesondere in den oberen Schwüngen. Da der Jugendstil in seiner Entstehungszeit nicht nur als modern, sondern sogar als gewagt gegolten hatte, nutzte man ihn ab Ende der 1890er Jahre insbesondere für massivsilberne Schmuckstücke oder goldene Entwürfe ohne oder mit nur zurückhaltendem Steinbesatz. In teuren Platin- und Diamant­schmuckstücken für den Abend finden sich Jugendstil-Linien in aller Regel erst kurz nach 1900. Denn wollte man in teuren Juwelenschmuck investieren, sollte dieser für einige Jahre lang tragbar bleiben – und als der Jugendstil noch neu war, war es nicht absehbar, ob sich eine solche Investition auszahlen würde. 

Kurz nach 1900 aber begannen deutsche Goldschmiede im Jugendstil die Zukunft zu sehen. Als der Stil sich hielt, war um die Mitte der Dekade für Juweliere und Käufer gleichermaßen der Beweis erbracht, dass sich größere Investitionen in prächtigen Diamantschmuck mit Jugendstil-Anlehnung lohnten.

Die Rückseite des Schmuckstücks. Die Schlaufe lässt sich einhaken, die Nadel abschrauben.

Ein dritter Hinweis war, dass die Anhänger-Schlaufe des Schmuckstückes aufwendig und kostbar gearbeitet und mit Diamanten besetzt ist, während die Broschierung sich vollständig abschrauben lässt. Dieser Umstand zeigt, dass die Anhänger-Funktion des Stückes als ebenso wichtig wie jene als Brosche angesehen wurde. 

Dies ist insofern interessant, als dass Anhänger – mit der Ausnahme von Medaillons – während der frühen 1900er Jahre weitaus populärer waren als noch während der 1890er Jahre. Während es in den 1890er Jahren durchaus Anhänger-Broschen gegeben hatte, war die Broschenfunktion auch aufgrund der oftmals hochgeschlossenen Kleider weitaus wichtiger. Für sich allein wäre die Anhänger-Schlaufe an dem Smaragdjuwel also kaum aussagekräftig gewesen – aber in Verbindung mit allen anderen Umständen gab sie  einen weiteren kleinen Hinweis zur Datierung.

Unter Berücksichtigung aller Details ergab sich mir also der Eindruck, dass das Schmuckstück um 1905 in Deutschland gefertigt worden und für den Abend bestimmt war. Dies war es, was ich dem Schmuckstück ohne weitere Hintergrundinformationen entlocken konnte, und mit diesen Angaben boten wir es an. Die Schönheit und Geschichte des Juwels überzeugten seine nächste Besitzerin innerhalb von Minuten – es war bereits am selben Nachmittag verkauft, an dem wir es anboten. Doch zu dieser Zeit ahnte ich noch nicht, dass die Geschichte jenes Schmuckstückes mich noch ein weiteres Mal beschäftigen sollte.

Ein Glücksfund

Meiner Meinung nach lässt sich der Sinn für all die Feinheiten, durch die sich antike Schmuckstücke datieren lassen, nicht allein aus modernen Büchern erlernen – für mich sind die wichtigsten Quellen alte Goldschmiedejournale, Modemagazine und Schmuckkataloge, denn sie erlauben es , noch stärker in die Tiefe zu gehen. Aus diesen Quellen lässt sich Schmuckgeschichte noch weitaus unmittelbarer erfahren, oft bis auf das Jahr genau. In Verbindung mit den zahllosen Stücken, die bei Hofer Antikschmuck durch unsere Hände und unter unsere Lupen wandern, haben derartige Quellen mir sehr geholfen, mein Wissen zu verfeinern.

Um unseren Wissensschatz zu vergrößern, kaufen wir regelmäßig alte Kataloge und Periodika für unsere Bibliothek an. Eine meiner liebsten Quellen ist  die Deutsche Goldschmiede-Zeitung (DGZ), deren alte Ausgaben stets reich bebildert und mit interessanten Artikeln versehen sind. Vor nicht allzu langer Zeit blätterte ich durch die Seiten der Ausgabe von 1910, als mir ein Schmuckstück in einer Schwarz-Weiß-Fotografie sehr bekannt vorkam... es war ein Anhänger von Heinrich Rose, Hofjuwelier in Schwerin.1 

Wie die DGZ schrieb, sollten die in dieser Ausgabe unter der Überschrift „Moderner Juwelenschmuck“ abgebildeten Schmuckstücke die Arbeiten verschiedener Goldschmiede aus allen größeren deutschen Städten repräsentativ vorstellen. Wohl hatte Rose zu diesem Zweck ein Foto seiner bedeutendsten jüngeren Arbeiten eingesandt.

Ein Foto des Schmuckstückes, wohl von Heinrich Rose an die Deutsche Goldschmiede-Zeitung eingesandt, vgl. DGZ 13 (1910), S. 83.

Das Smaragd-Schmuckstück war bereits bei seiner neuen Besitzerin, doch glücklicherweise hatten wir hochauflösende Fotos behalten. Gespannt öffnete ich die Dateien. Und tatsächlich – das Stück in der DGZ entsprach nicht nur dem gleichen Entwurf, sondern war identisch mit dem Juwel, das wir vor einiger Zeit verkauft hatten! Der untere Rand der Zarge, welche einen der Smaragde fasst, zeigt bei näherem Hinsehen eine kleine, durch die Handarbeit entstandene Unregelmäßigkeit, die sich auch im Foto erkennen lässt.

Allein das Datum der Veröffentlichung überraschte mich ein wenig. Das Schmuckstück war zur Zeit der Publikation sicher nicht viel älter  als die Zeitschrift selbst, auf keinen Fall mehr als ein paar Jahre. Warum mich dies irritierte? Die Jugendstil-Schwünge an der Oberseite des Stückes sind im Vergleich zu vielen anderen um 1910 entstandenen Entwürfen noch recht kompakt – die allerneuesten Entwürfe lösten sich zu dieser Zeit bereits in feine Geflechte aus Platindrähten auf. Als Arbeit eines Hofjuweliers jedoch ist dies nachvollziehbar, denn Schmuck, der für oder im Umfeld der Höfe entstand, war oft etwas konservativer. Und auch der hohe Wert der kolumbianischen Smaragde bedingte wohl einen Entwurf, der zwar modisch, aber zugleich nicht zu avantgardistisch war.

Heinrich Rose: Juwelier und Hoflieferant

Durch einen Glücksfund hatte ich den unsignierten Smaragdschmuck nach über einem Jahrhundert wieder mit dem Namen seines Herstellers verknüpfen können – doch bislang wusste ich kaum etwas über Heinrich Rose, außer seinem Namen, und dass er Goldschmied in Schwerin gewesen war. Ein wenig mehr Recherche brachte weitere interessante Details ans Licht.

Heinrich Roses Status als Hofjuwelier lässt sich spätestens ab 1897 nachweisen, dem Jahr des Regierungsantritts Friedrich Franz IV., Großherzog von Mecklenburg-Schwerin und letzter regierender Monarch in Mecklenburg. Rose blieb mindestens bis 1916 Hofjuwelier. Interessanterweise war er aber nicht nur Juwelier des Mecklenburger Hofes – der Großherzog gab ihm zudem die Erlaubnis, gleichzeitig den Titel eines niederländischen Hoflieferanten zu tragen, verliehen von Königin Wilhelmina der Niederlande. Die Verbindung zum niederländischen Hof mag durch Heinrich zu Mecklenburg entstanden sein, der 1901 durch Heirat mit Königin Wilhelmina Prinzgemahl der Niederlande wurde.

Leider wissen wir wenig über die Objekte, mit denen Rose den niederländischen Hof belieferte, und ob Schmuck darunter war. 2011 versteigerte Sotheby’s Amsterdam eine größere Sammlung von Kunst und Kunsthandwerk aus dem Besitz von Königin Juliana der Niederlande, darunter einen Silberbecher und ein Silbertablett von Heinrich Rose.² Vermutlich waren sie von Königin Wilhelmina erworben worden.

Obwohl, oder gerade weil die Geschichtsbücher nicht viel über Heinrich Rose erzählen, der einst zwei europäische Höfe belieferte, ist es wunderbar, nun wenigstens eines seiner Schmuckstücke sicher identifizieren zu können.

1Deutsche Goldschmiede-Zeitung, 13 (1910), S. 83 [Online einzusehen bei Google Books, letzter Zugriff November 2023].

2Property from the Estate of Queen Juliana, Sotheby’s Amsterdam, 14­.–17. März 2011, Lot 769 und 1481 [https:/legacy.gscdn.nl/archives/images/AM1100-SALE.pdf, letzter Zugriff November 2023].

Lea Felicitas Döding

Als Kunsthistorikerin interessiert mich vor allem die materielle Kultur des Schmucks. Wie wurde ein Stück getragen, von wem und zu welchem Zweck? Welche Bedeutungen verband man mit Edelsteinen und Schmuckentwürfen? Diesen Fragen versuche ich für das Hofer Magazin auf den Grund zu gehen – und tauche dabei oft tief in die Schmuckgeschichte ein.

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