Schmuckgeschichten

Quelques Fleurs

Antiker Schmuck erzählt Geschichten

von Lea Felicitas Döding

Im Gegensatz zum Ungewöhnlichen regt das Klassische selten dazu an, es in Frage zu stellen. Die Blumenbrosche ist so ein Klassiker. Sie ist gefällig und von solch zeitloser Schönheit, dass wir kaum daran denken würden, ihr eine Bedeutung zu unterstellen, die über ihren dekorativen Wert hinausreicht – es sei denn vielleicht eine romantische Aussage in der Sprache der Blumen. Und doch wäre es falsch, schöne Dinge als grundlegend bedeutungslos zu betrachten.

Tatsächlich erzählt die Brosche, die wir uns nun ansehen werden, viele Geschichten: von Nostalgie angesichts großer Veränderungen, von der Begeisterung für neuen Luxus, von der Vermittlung gesellschaftlichen Einflusses und sogar von den Unsicherheiten des Kapitalismus. So ermöglicht die Brosche einen Einblick in ein besonderes Kapitel der Geschichte – man muss nur wissen, wie sie zu lesen ist.

I. Der Entwurf

Eine große Diamantbrosche in Silber auf Gold, um 1880

Die Brosche ist als naturalistisches Bouquet aus verschiedenen Blumen entworfen. In ihrem Zentrum schimmert die geöffnete Blüte einer spitzblättrigen Blume, einer Dahlie. Zwei Rosenknospen erheben sich dahinter. Kleine Vergissmeinnicht-Blüten und Maiglöckchen vervollständigen die längliche Komposition; ein Schleifenband hält das Bouquet zusammen.

Die aufmerksame Betrachterin hat bereits erkannt, dass der Entwurf im achtzehnten Jahrhundert wurzelt – genauer gesagt im dritten Viertel jenes Jahrhunderts, dessen kunsthandwerkliche Erzeugnisse von einer Vorliebe für leichte Eleganz und florale Motive geprägt waren. Ähnliche Entwürfe für wie vom Wind bewegte Blütenbouquets, von Schleifen gehalten, fanden aus dem Frankreich des Rokoko ihren Weg in die Welt. Sie waren als sog. Aigretten konzipiert, als Ornamente für das Haar.

Die höfische Pracht des ancien régime inspirierte in jener Zeit ganz Europa, und so finden sich in bedeutenden Sammlungen ähnliche Aigretten aus Italien und Großbritannien ebenso wie aus Portugal.

Entwurf für einen floralen Schmuck aus der Zeit des Louis XVI. Aus: Émile Reiber, L'Art pour tous: Encyclopédie de l’art industriel et décoratif, 18 (1879), S. 1784.

Unsere Brosche wurde nach dem Vorbild jener Juwelen gefertigt, doch etwa ein Jahrhundert später, in den Jahren um 1880. Einerseits verraten die handwerkliche Ausführung und die Diamantschliffe die spätere Entstehung. Andererseits ist die Formensprache klarer umrissen, naturalistischer als bei den Vorbildern des achtzehnten Jahrhunderts.

Die gesamten 1880er Jahre hindurch waren diamantene Blütenzweige und -bouquets bei der eleganten und wohlhabenden Gesellschaft der westlichen Metropolen beliebt. Das Wiener Periodikum Die Perle, welches Schmuckentwürfe publizierte, zeigte in einer Ausgabe des Jahres 1880 eine ganze Seite ähnlicher Entwürfe. 1888 berichtete das amerikanische Journal The Manufacturing Jeweler von den Pariser Moden: „Diamantsträuße und -zweige bleiben groß und floral; besonders gern gesehen werden voll erblühte Rosen, Mohnblumen und Iris, deren Blätter und Stängel mit Brillanten besetzt sind.”1

Florale Schmuckentwürfe, 1762. Aus: Pouget Fils, Traité des pierres précieuses et de la manière de les employer en parure (Paris, 1762), Taf. 4

Doch was führte zu dieser Wiederbelebung des Motivs? Das gesamte 19. Jahrhundert war bekanntlich eine Zeit der Wiederbelebungen in Kunst und Kunsthandwerk. Diese Faszination für vergangene Epochen war weniger auf einen Mangel an Innovationen zurückzuführen, sondern vielmehr auf deren überaus große Zahl. Mit der Französischen Revolution war die alte Weltordnung zunehmend in Frage gestellt worden. Der einst unerschütterliche Glaube an jahrhundertealte Institutionen, von der Monarchie bis zur Kirche, bröckelte; gegen Ende des Jahrhunderts wurden Atheismus, Sozialismus und sogar der Anarchismus von der intellektuellen Avantgarde diskutiert.

Doch auch für diejenigen, die sich nicht an intellektuellen Diskussionen über radikale Konzepte beteiligten, hatte sich das Leben durch Industrialisierung, Wissenschaft und Technologie rapide verändert. Angesichts dieser tiefgreifenden Veränderungen erschien die Vergangenheit in ihrer stagnierenden Bequemlichkeit verlockend; schließlich konnte sich zumindest das, was bereits geschehen war, nicht mehr ändern. Darüber hinaus boten die verschiedenen Epochen der Geschichte ein Gefühl der Orientierung und sogar der Identität. Noch 1910 klagte ein deutscher Schmuckjournalist:

Anonymous nach L. van der Cruycen, Entwurf für eine Aigrette (links) aus einem Album von Schmuckentwürfen, Paris, c. 1770. Met Museum, 32.129(6)

Ein Stil, der unserem modernen Geiste adäquat wäre, ist trotz heißen Bemühens bislang nicht gefunden worden und so lehnt sich der Geschmack des Publikums, das autoritative und überzeugende Führung nun einmal nicht entbehren kann, stärker an die Stilgefühle verflossener Epochen an, sucht vielleicht aus der Leere der Gegenwart die Wirkungen jener vergrößert oder gar potenziert und findet sich im Altanerkannten, Vertrauten heimischer und gibt dieser Empfindung in seinen Geschmacksäußerungen praktischen Ausdruck.2

Aus der heutigen Perspektive entspricht gerade die Aneignung historischer Formen dem ‘modernen Geiste’ jener Zeit. Kunsthandwerkliche Arbeiten im Stil des Rokoko etwa blieben nicht nur an konservativen Höfen aktuell, sondern erlebten im Europa des 19. Jahrhunderts gleich mehrere bedeutende Revivals – ein jedes davon befeuert von eigenen Gründen. Was also konnte eine Brosche im höfischen Stil des 18. Jahrhunderts in den 1880er Jahren vermitteln?

Schmuckentwürfe aus Martin Gerlachs Die Perle, 1880, Vol. 2, Blatt 24

Die Antwort ist so kurz wie wenig überraschend: Macht. Bei einer kostbaren Diamantbrosche mag dies nicht verwundern. Die eigentliche Bedeutung liegt jedoch in einem Wechsel der Macht – von den Aristokraten des ancien régime hin zu einer neuen herrschenden Klasse: dem aufstrebenden Bürgertum, das durch Industrialisierung und das sich wandelnde politische Klima zu Reichtum, Bildung und Einfluss gelangt war.

Für die Aristokraten bedeuteten historische Stile Kontinuität und, aus ästhetischer Sicht, dass neu erworbene Stücke zu den ererbten Juwelen passten. Für Frauen jedoch, die keine solchen Erbstücke besaßen und vielleicht sogar zur ersten Generation gehörten, die in Wohlstand lebte, war das Tragen von Broschen, die ebenso prächtig waren wie jene der Aristokraten, mit denen sie in der Oper verkehrten, ein sichtbares Zeichen des sozialen Aufstiegs und der sich ändernden Machtverhältnisse.

Die Aneignung von Entwürfen, die einst Königinnen, Gräfinnen und Hofdamen vorbehalten waren, ist somit nicht nur ein Beispiel für den „Trickle-down”-Effekt, sondern auch für den soziopolitischen Wandel, der das 19. Jahrhundert prägte – ein Wandel, der auch in der Verwendung von Diamanten zum Ausdruck kam.

II. Die Materialien

Adolph von Menzel, Das Ballsouper, Öl auf Leinwand, 1878. Alte Nationalgalerie, Berlin, A I 902

Stellen wir uns einen Ballsaal in den Jahren um 1880 vor: Im warmen Schein der Gaslampen funkeln Aberhunderte von Diamanten auf feiner Duchesse-Seide, in Locken und auf nackter Haut. Malen wir uns nun denselben Raum nur zwei Jahrzehnte zuvor aus, könnten wir versucht sein, ihn uns genauso vorzustellen. In Wahrheit jedoch war die Präsenz von Diamanten in diesem Ausmaß ein besonderes Merkmal der Schmuckkultur des letzten Drittels des neunzehnten Jahrhunderts.

Mehrere Entwicklungen hatten dies ermöglicht: Zum ersten die Entdeckung der riesigen Diamantvorkommen in Südafrika Ende der 1860er Jahre, welche bald zu einem drastischen Rückgang der Diamantenpreise führte. „Diamanten sind derzeit sehr günstig, zumindest sagen das die Händler, auch wenn die dafür verlangten Summen für Laien immer noch sagenhaft klingen“, hieß es bereits 1873.3 1888 stellte der berühmte amerikanische Mineraloge George Kunz fest, dass Diamanten aufgrund dieser Entwicklung in den vergangenen Jahren geradezu zügellos viel getragen worden seien.4

Diamantschmuck der Belle Époque, um 1890-1900

Der Rückgang der Diamantenpreise ging Hand in Hand einerseits mit dem Einzug der maschinellen Produktion in die Schmuckfertigung, und andererseits mit dem Anstieg des bürgerlichen Wohlstands, wodurch eine neue und breitere Käuferschicht angesprochen wurde.

Über die Modetrends im Schmuckbereich schrieb eine britische Zeitschrift 1887: „Diese Produkte sind die Antwort auf eine Nachfrage, die mit zunehmendem Wohlstand des Landes stetig wächst, und die Zahl der Menschen, die sich ihren Wunsch nach Schönem erfüllen können, vervielfacht sich in diesem Land mit rasender Geschwindigkeit.“5 In anderen Ländern, die in dieser Zeit für ihre Schmuckindustrie bekannt waren, sah die Situation nicht anders aus. Frankreichs Wirtschaft wuchs weiter an, Amerika befand sich in seinem gilded age und auch Deutschland erlebte einen rasanten industriellen Aufschwung.

Doch es war nicht der einfache „Wunsch nach Schönem“, der Diamanten so begehrt machte. Wie die floralen Aigretten, so waren auch Diamanten einst das Vorrecht einiger weniger gewesen, die in den Adelsstand hineingeboren worden waren. Nun jedoch waren sie kein Geburtsrecht mehr, sondern schmückten jeden, der sie sich leisten konnte.

Eine große Diamantbrosche in Silber auf Gold, um 1880

III. Die Funktion

Eine Diamant-Aigrette, im Haar getragen. Detail aus Daniel Klein, Marie-Thérèse-Raphaëlle de Bourbon, Dauphine de France, Öl auf Leinwand, um 1745. Versailles, MV4451.

Obwohl unser Diamantbouquet in Form und Materialität bewusst an Juwelen des achtzehnten Jahrhunderts angelehnt ist, unterschied sich sein Gebrauch davon, wie die historischen Vorbilder getragen wurden. Denn während die älteren Juwelen als Aigretten für das Haar konzipiert waren, handelt es sich bei unserem Stück um eine Brosche.

Selbstverständlich konnte auch diese im Haar getragen werden, und wahrscheinlich wurde sie es auch; die Damen der Belle Époque gingen häufig kreativ mit ihrem Schmuck um. Darüber hinaus lässt sich das Schmuckstück aber auch durch Schrauben in drei separate Elemente teilen, von denen die große Blüte und der kleinere Strauß separat getragen werden konnten, wahrscheinlich als kleinere Broschen oder Haarnadeln. Wie bei so vielen wandelbaren Broschen sind die zusätzlichen Montierungen im Laufe der Generationen verloren gegangen.

Die Wandlungsfähigkeit des Schmuckstücks ist charakteristisch für prächtige Diamantschmuckstücke des späten 19. Jahrhunderts. Sie ermöglichte der Trägerin nicht zuletzt, modische Wiederholungen zu vermeiden, eine Angst, die durch sozialen Druck geschürt wurde: Denn von Ereignissen, die das Tragen edlen Schmucks rechtfertigten, wurde in Zeitungen und Modemagazinen ausführlich berichtet, und diese Berichte gingen oftmals auf die Garderobenwahl der Damen ein, bis hin zu den Details ihres Schmucks.

Die Diamantbrosche im auseinandergebauten Zustand

Modemagazine und -kolumnen, deren Zahl seit dem späten 18. Jahrhundert stetig zugenommen hatte, waren selbst ein Symptom der Zeit.  Industrialisierung und Massenproduktion hatten vielen Menschen zu mehr Wohlstand verholfen und Schmuck erschwinglicher gemacht, aber sie hatten auch die Wandlungen der Mode beflügelt und damit die Schwierigkeit erhöht, ihren immer neuen Anforderungen zu folgen. Obwohl Kleider und Schmuck zu deutlich niedrigeren Preisen als noch Jahrzehnte zuvor erworben werden konnten, musste dies immer häufiger geschehen, um auf dem neuesten Stand zu bleiben: Der Kapitalismus – ein Begriff, der Mitte des Jahrhunderts als Reaktion auf die Industrialisierung geprägt wurde – war in vollem Gange.

Große Blumenbroschen galten daher bereits in den 1890er Jahren unter Anhängerinnen der neuesten Moden als demodé, und andere Entwürfe traten in den Vordergrund. Im Jahr 1892 ließ das Damenjournal Bazar verlauten: „Alles ist dem beständigen Wechsel unterworfen, und so vollziehen sich auch vor unseren Augen, fast unbemerkt, die größten Wandlungen in der Produktion der Schmuckgegenstände. […] die früher so bewunderten, mit Brillanten besetzten Blumenzweige sind gar nicht mehr modern.“6

Gustave Jean Jacquet, Kostümball (Minuett), Detail, Öl auf Leinwand, 1880. Nationalmuseum Warschau, M.Ob.1221

Was tat also die modebewusste Frau mit ihrem kostbaren, doch mittlerweile etwas unmodernen Schmuckstück? Sie konnte es beispielsweise bei einem der vielen Kostümbälle einsetzen, um ihrer Gewandung als Rokoko-Dame den letzten Schliff zu verleihen. Ein beliebtes Handbuch über Kostüme riet seinen Leserinnen, ein Kleid aus Silberstoff und eine Diamant-Aigrette zu tragen, um sich als Dauphine von Versailles zu verkleiden.7 Oder – etwas vernünftiger, als das teure Stück zum Verkleiden aufzubewahren – sie ließ die Diamanten in einem aktuelleren Stil neu fassen. „[D]ie wahre Weltdame in London hat fast ebenso häufig bei ihrem Juwelier zu thun wie bei ihrer Modistin. Bald kauft sie ein neues Stück, bald werden Juwelen anders gefaßt, weil die Mode sich verändert”, schrieb der Bazar 1896. 8

Glücklicherweise ist unsere Brosche diesem Schicksal entgangen und bleibt in ihrer ursprünglichen Form erhalten: Als Erinnerung an die tiefgreifenden Veränderungen, welche die westliche Kultur des neunzehnten Jahrhunderts prägten.

1The Saunterer, „Points from Paris“, The Manufacturing Jeweler, 5 (1888), S. 82-84, S. 82.

2l, „Das antike Genre“, Deutsche Goldschmiede-Zeitung, 13 (1910), S. 310-12 (S. 310).

3[Anon.], „The Fashion of Jewels“, Scribner“s Monthly. An Illustrated Magazine for the People, 6 (1873), S. 499.

4George F. Kunz, „On Diamonds“, The Watchmaker, Jeweller and Silversmith, 1 May 1888, S. 164-65 (S. 164).

5[Anon.], „Fashions in Jewellery“, The Watchmaker, Jeweller and Silversmith, 1 October 1887, S. 60.

6Fr. Fr., „Neue Schmucksachen“, Der Bazar, 38 (1892), S. 474.

7Ardern Holt, Fancy Dresses Described, or What to Wear at Fancy Balls (Debenham & Freeberry, 1887), S. 66.

8Annie Bock, „Einkäufe der Londonerin und der Petersburgerin“, Der Bazar, 42 (1896), S. 144-45 (S. 144).

Lea Felicitas Döding

Als Kunsthistorikerin interessiert mich vor allem die materielle Kultur des Schmucks. Wie wurde ein Stück getragen, von wem und zu welchem Zweck? Welche Bedeutungen verband man mit Edelsteinen und Schmuckentwürfen? Diesen Fragen versuche ich für das Hofer Magazin auf den Grund zu gehen – und tauche dabei oft tief in die Schmuckgeschichte ein.

Neuigkeiten und Hintergründe

Entdecken Sie unser Magazin

jetzt lesen